Die DDR – ein Unrechtsstaat
Der politische Gefangene und Fluchthelfer Dr. Wolfgang Welsch zu Gast am Pückler-Gymnasium
Schon seit mehreren Jahren zeigt Herr Krönert im Rahmen des Unterrichts zur DDR-Geschichte den Fernsehfilm „Der Stich des Skorpion“, um am Beispiel des Protagonisten Wolfgang Stein (in der Realität: Wolfgang Welsch) deutlich zu machen, welchen Risiken und Gefahren sich Menschen aussetzten, die anderen den Weg aus der DDR und in die Freiheit ermöglichten. Da sich die Lebenslinien von Herrn Welsch und Herrn Krönerts Vater, der auch als politischer Häftling wegen Republikflucht Zwangsarbeit leisten musste, im Zuchthaus Brandenburg und nach der Haft in der Bundesrepublik kreuzten, war ihm die Einladung an Herrn Welsch auch ein persönliches Anliegen.
Am 10. Februar 2025 fand an unserer Schule eine Lehrveranstaltung statt, in der der Zeitzeuge Wolfgang Welsch von seinen Erfahrungen in DDR-Gefängnissen und dem Leben danach sprach. Wolfgang Welsch, am 5. März 1944 in Berlin geboren, wuchs in einem christlichen Elternhaus in Ost-Berlin auf. Während der Schulzeit nahm er Schauspielunterricht. Mit zusätzlichen Sprachkursen schloss er nach dem Abitur seine Schauspielausbildung ab. Im Nachhinein blickt er zurück und stellt fest, dass „Hass schon in den DDR-Kindergärten in die Kinderseelen eingepflanzt wurde“. Dabei war ihm immer klar, dass er weder Kommunist noch Sozialist sein wolle, er wollte raus, raus aus dem Osten!
Seine kritische Haltung gegenüber der SED-Diktatur und sein Engagement für die Freiheit machten ihn zur Zielscheibe der Stasi. 1964, im Alter von 20 Jahren, wurde er wegen „staatsfeindlicher Hetze“ und „versuchter Republikflucht“ verhaftet und zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Wolfgang Welsch sprach von den zwei Seiten des Drucks. Dabei steht dem widerstandsfähigen Menschen der mutlose, hilflose und unterwürfige Mensch gegenüber. Sichtlich bedrückt erzählte er von seinem Willen für die Freiheit zu kämpfen, aber auch von der starken psychischen Verletzung, die oft größer als die physische war.
Er fragte sich, warum Menschen andere Menschen foltern. Ziel sei es, den Menschen und seinen Willen zu brechen. Welsch schilderte, dass derjenige, der gefoltert wurde, gefoltert bleibt. Es gebe keine Möglichkeit sich wieder einzugliedern, kein Therapeut könne helfen. Das Einzige sei die intellektuelle Bildung und Auseinandersetzung damit, dass es passiert ist. Sichtlich bedrückt, aber entschlossen legte Wolfgang Welsch seinen Schwerpunkt auf die Beschreibung der Foltermethoden. Neben Mangelernährung erzählte er von der „Boger-Schaukel“, bei der Füße und Hände hinter dem Rücken zusammengeknebelt wurden und der Gefangene an einer Metallstange bis zum Übergeben und zur Ohnmacht geschaukelt wurde. Auch berichtete er von dem Kreuzhängen an einem Gitter. Das Aufhängen an Fu0- und Handgelenken schabte nicht nur das Fleisch ab, sondern sorgte auch für eine möglichst feste Haltung, bei der der Wächter mit einem Metallstab auf den Gefangenen einschlagen konnte.
Am stärkste im Gedächtnis blieb ihm jedoch die Scheinhinrichtung. Bei dieser musste er sich an die Wand im Hof des Gefängnisses stellen und mehrere, bewaffnete Wächter schossen mit Platzpatronen auf ihn. Diese psychische Belastung zeichnet noch heute die Angst in seinem Gesicht. Infolgedessen ließ sich einige Jahre später aufgrund einer Sprachstörung im Theater eine posttraumatische Belastungsstörung feststellen. Wolfgang Welsch beschrieb auch, dass er kurz nach seinem Freikauf 1969 aus dem Gefängnis durch Hilfe aus Westdeutschland seinen Mut wiedergefunden hat. Er glaubte daran Menschen helfen zu können. So begann seine Fluchthilfe.
Dafür klügelte er einen Plan aus, der die Menschen mithilfe von BRD-Pässen und gefälschter Sichtvermerke über Drittländer des Ostblocks nach Westdeutschland brachte. Berührt erzählte er von einem ganz besonderen Fall – dem der kleinen Bettina. Er stellte sich die Frage, wie er ein 12-jähriges Mädchen über die Grenze bekomme, deren Mutter aufgrund ihres Berufes bereits vorher die Möglichkeit zur Flucht ergriff. Sie wollte ihre kleine Bettina aber nicht im Stich lassen. So entwickelte Wolfgang Welsch den Plan sie mit dem Auto aus der DDR zu transportieren. Dafür baute er die Rücksitze so um, dass sie innen hohl waren und das Mädchen hineinpasste. Um Fragen der Grenzer nach langen Fahrzeiten zu verhindern, wurde sie an der Transitstrecke eingeladen und versteckt. So gelang es ihm Mutter und Tochter endlich wieder zu vereinen. Diese Emotionen der puren Freude und Erleichterung spüre er noch heute.
Diese Freude blieb ihm selbst jedoch nicht lange erhalten. Bedrückt gab er den Wortlaut der Stasidrohung wieder: „Wir werden Sie finden und töten.“ Als Wolfgang Welsch mit einem Freund nach England fuhr um Möbel zu kaufen, schoss ein Scharfschütze auf der Autobahn in Kopfhöhe auf ihn. Nur der Zufall rettete ihn – er bückte sich genau in dieser Sekunde nach seiner heruntergefallenen Pfeife. Ein Wunder! Schlimmer traf ihn jedoch die Vergiftung in Israel 1981, bei der er schwerste Vergiftungen erlitt und nur knapp überlebte. Einen entscheidenden Grund des Auffliegens sah er in der Leichtsinnigkeit seiner Frau, die sich auf einer Riese in den Ostblock in einen „Schwarzen“ verliebte, der vermutlich für den Geheimdienst arbeitete. Sehr persönlich und sichtlich verletzt nannte er sie den „Feind im Bett“.
Emotional beschrieb er in Antwort auf eine Diskussionsfrage, dass er zu seiner Tochter keinen Kontakt habe, da diese durch die eigene Mutter instrumentalisiert worden sei. Die Debatte führte zu einem weiteren Themenfeld: Was ist Freiheit? Wolfgang Welsch beschrieb Freiheit als etwas Verletzliches, das mit Arbeit verbunden sei und von demokratischen Strukturen wie Gewaltenteilung, einer unabhängigen Presse und freien Wahlen abhängt. Diese Verbindung aus Freiheit und Demokratie sei für ihn die Grundlage eines freien Menschen. Auf die Frage, wie man die Freiheit schützen könne, verwies er Auf Immanuel Kant. Man solle sich seines eigenen Verstandes bedienen, sich selbst Gedanken machen, alles kritisch hinterfragen und, ganz wichtig, sich selbst ermutigen.
Im Anschluss an die Veranstaltung signierte Herr Welsch noch für einige interessierte Schüler und Lehrer Exemplare seiner Autobiografie „Ich war Staatsfeind Nr. 1“. Die Art und Weise der detaillierten, persönlichen und emotionalen Erzählung seiner Erfahrungen rief bei großen Teilen der Schülerschaft Interesse und Bewunderung hervor.
Tara Lehmann / Stefan Krönert
April 2025